Sadulla begrüsst uns in Mazedonien auf Schweizerdeutsch

Interview mit einem Einheimischen: Sadula Alushi spricht über Mazedonien

Sadulla Alushi gibt Mazedonien in unserem Interview seine Stimme.

Als Tourist siehst du immer nur eine Seite eines Landes, wie die Situation für die Einheimischen aussieht, ist eine ganz andere Sache. Deshalb fragen wir bei den Einwohnern nach und Sadulla – ein Freund des Camping Rino-Betreibers – hat sich sofort bereit erklärt, unseren Fragen zu antworten.

Der kurz vor dem Pensionsalter stehende Mann ist hier in Struga geboren und aufgewachsen, bevor er für über 20 Jahre in der Schweiz gearbeitet hat, erst im Gartenbau, später hatte er eine eigene Reinigungsfirma. Er hat drei Söhne und eine Tochter sowie bereits einige Enkel. Seine Kinder sind mit ihren Familien in der Schweiz geblieben, Sadulla selber ist mittlerweile nach Mazedonien zurückgekehrt.

Der Mazedonier mit Albanischen Wurzeln gibt uns hier einen spannenden Einblick in das Land, zur aktuellen Situation und aus eigener Erfahrung zeigt er uns die Unterschiede zum Leben in der Schweiz auf. Lassen wir ihn nun also die Stimme für sein Land sein.


Herr Alushi, wir führen dieses Interview hier in Mazedonien mit Ihnen auf Schweizerdeutsch. Wie kommt das?
Ich habe über 20 Jahre lang in der Schweiz gelebt und dort gearbeitet. Meine Frau sagte immer: Geh in die Schule zum Deutsch lernen! Aber ich wollte nicht, ich wollte nur arbeiten. Später für meine eigene Firma brauchte ich dann Deutsch, das habe ich mir aus der Zeitung beigebracht.

Und jetzt leben Sie wieder in Mazedonien?
Zu 90 % bin ich in Mazedonien, über den Winter besuche ich dann meine Kinder und Enkel in der Schweiz.

Wie leben Sie hier in Mazedonien?
Mit meiner Frau wohne ich in unserem grossen Haus, dass wir uns vor einiger Zeit gebaut haben. Etwas ausserhalb des Dorfes habe ich einen kleinen Garten mit Hühnern, Truten, Enten, Schafen, Fischen aber auch Obstbäumen und Gemüse – alles Bio. Hier in Struga ist viel Bio weil arme Leute kein Geld für Pestizide haben.

Besuchen Sie Ihre Kinder, die jetzt eigene Familien in der Schweiz haben, hier?
Ich habe drei Söhne und eine Tochter – alle haben ein Haus im Dorf hier in Mazedonien. Ein Sohn ist gerade dabei seines zu erbauen. Bauherren gibt es nicht, alles muss mit jedem Handwerker selber organisiert werden. Das übernehme ich, da mein Sohn ja in der Schweiz ist. In Mazedonien ist es normal, dass auch die Kinder im gleichen Ort ein Haus bauen. Die Familie bleibt beieinander, so können sich die Mitglieder perfekt unterstützen.

Was sind die grössten Unterschiede zur CH?
In der Schweiz muss man viel Arbeiten, hier nicht. Hier ist es lockerer. Hier kann man auch mit weniger gut leben. Die Schweiz ist besser mit Versicherungen und Sozialleistungen. In Mazedonien baut man Häuser mit seinem Geld, nicht mit Hypotheken oder Kredit. Deshalb braucht man weniger Geld zum Leben, nur für Essen, Trinken.

Welche kulturellen Unterschiede gibt es zwischen den zwei Ländern?
In Mazedonien helfen sich die Leute mehr gegenseitig. Und hier in Mazedonien haben wir mehr Luxus. Ein Beispiel: Eine Hochzeit ist viel teurer und luxuriöser. Die Vorbereitung läuft planloser. Es werden 300 Leute eingeladen und für so viele auch Essen und Unterkunft organisiert. Kommen tun dann vielleicht 150 oder 200, also hat man von allem viel zu viel. Jeder kauft sich ein neues Kleid – gerade die Frauen für 200-300 Euro – und das benutzen alle nur einmal, danach wird es entsorgt. Das ist wichtig für die Leute. In der Schweiz im Gegensatz kann man z.B. solche teuren Kleider mieten, aber hier will das niemand.

Es wird auch viel in Gold investiert, das hat schon Wert, aber der materielle Wert ist natürlich immer weniger als wenn du es vom Goldschmied hast, weil die Verzierungen ja keinen «Wert» haben, sondern nur das Gewicht.

Die Mazedonier in der Schweiz bekommen wegen diesem Lebensstil häufig Probleme, weil sie diesen Luxus auch in der Schweiz haben wollen und nehmen dafür Kredite auf. So geraten sie in Schwierigkeiten.

Der zweite grosse Fehler ist, dass wir alle grosse Häuser bauen. Die meisten Häuser haben 10 Zimmer, wohnen tut da nur eine Familie manchmal sogar nur 2 Personen. In der Schweiz wohnen meine Kinder mit ihren Familien in 3.5 oder 4.5 Zimmer Wohnungen, da leben sie gut aber hier bauen sie 10 Zimmer Häuser. Und vermieten tun wir die freien Zimmer nicht, weil es hatten ja alle immer genug Geld, da vermietet man nicht an Fremde. Das ist ein Fehler, wir könnten damit gut Geld mit Touristen verdienen.

In Jugoslawien war genug Geld da, alle haben gebaut, wir bauten hier, anstelle unser Geld in der Schweiz zu investieren.

Beschreiben Sie diesen Ort hier – Struga – mit 3 Worten.
Schön, ruhig und guter Zusammenhalt – müssen wir auch.

Herr Alushi ergänzt:
Die Stadt macht nichts. Strassen bauen wir selber, Wasserleitungen alles organisieren wir selber, der Staat macht nichts. Es geht nicht nur einfach lange, es passiert gar nichts, die grossen nehmen nur Geld aber investieren nichts.

Mazedonien Einheimische erzählen

Lui zusammen mit Sadulla – er hat uns viel über Mazedonien erzählt.

Beschreiben Sie Mazedonien in 3 Worten:

Aktuell ist es gerade schwierig etwas zu sagen. Es wird keinen Krieg geben, niemand will Krieg. Aber die Regierung schaut nur für sich selber, die Politiker sind egoistisch.

Sommer oder Winter – wie mögen Sie Ihre Heimat lieber?

Klar Sommer! Die Leute sind arm, im Winter brauchen sie Holz und mehr Sachen. Im Sommer ist es günstiger, es kommen Touristen und die bringen etwas Geld. Das ist gut.

Ist der Ort Struga und gerade dieses kleine Dorf hier etwas ausserhalb touristisch?
Früher kamen viele Gruppen aus Holland und Deutschland mit Bussen aber auch mit Campern. Mit dem Krieg war es fertig. Erst jetzt kommen langsam die ersten wieder. Die Leute haben Angst. Im Internet steht, du musst aufpassen in Mazedonien, da gibt es Probleme. Aber hier ist es ruhig, hier ist nichts. Auch im Fernsehen berichten sie schlecht. Wir haben kein Problem, Probleme hat nur das Parlament. Wer kriegt welchen Platz für wie viel Geld. Hier im Ort gibt es auch 10 Häuser von Mazedoniern, wir sind Freunde. Die sind Orthodox, wir sind Muslime. Hier in Struga gibt es kein Problem. Gut 70 % sind Albaner aber wir haben kein Problem miteinander.

Was passiert denn im Land momentan mit der Politik und hat das Einfluss auf die Touristen?
Jetzt wissen alle, wie viel Geld die Politiker gestohlen haben – Milliarden. Diese Politiker wissen, sie müssen ins Gefängnis also versuchen sie mit mehr Geld alles, damit das nicht passiert. Deshalb haben die Politiker Angst und es gibt Streitereien. In Skopje ist es aber ruhig, es ist nur im Parlament. Und das ist schlimm für Touristen, weil sie es im Internet und Fernsehen mitbekommen. Normalerweise ist Ohrid und so um diese Jahreszeit voll mit Leuten, jetzt ist fast niemand da. Das ist schlimm.

Touristen schauen im Internet, da steht du musst aufpassen. Aber wir hier wissen, es ist nichts. Doch die Leute informieren sich bei den Ausländischen Ämtern und die schreiben, dass man zur Zeit aufpassen muss.

Warum sollen Touristen hier hinkommen?
Hier ist es sehr ruhig, kein Diebstahl, weil wir selber schauen, dass wir niemanden hereinlassen, der stehlen will. Struga und Ohrid sind kleine Städte, wir kennen uns alle gegenseitig und schauen.

Es ist günstig und in den kleinen Orten ist das Essen Bio, weil wir haben keine Industrie, wir bauen das Gemüse selber im Garten an.

Ist der Ohridsee und die Umgebung der schönste Ort in Mazedonien?
Ja, hier ist es am schönsten in Mazedonien. Skopje ist nicht so schön, die Stadt ist neu gemacht, es hat nicht so viel zum Schauen. Debar ist schön, dort gibt es viele Berge und es gibt Quellen. Bei Ohrid gibt es den Galichica Nationalpark.

Im Sommer ist es in Skopje sehr heiss, weil es wenig Grün gibt, alles ist mit Beton zugebaut. Viele Bewohner von Skopje haben ein Haus hier am See weil es hier in der Nacht auch im Sommer gut ist zum Schlafen, in der Stadt ist es dann nur noch heiss – immer.

Ein grosses Minus von Mazedonien ist, es gibt halt einfach wenig Geschichte im Land.

Ohridsee, Ausblick, Mazedonien Sehenswürdigkeiten

Der Ohridsee gilt als einer der ältesten Seen weltweit. Er trägt das UNESCO Weltnaturerbe.

Ist der Krieg noch ein Thema?
Eigentlich nicht. Deutschland und Italien sind schon gekommen, aber hier war nicht viel. In Serbien war ein grosser Krieg aber hier war nicht viel. Auch beim Mazedonien-Krieg war hier in Struga nichts. Jetzt wird nur über Politik gesprochen, wer hat was gestohlen. Wissen sie warum es aktuell keinen Krieg geben wird? Weil die Mazedonier sind nicht alle gegen Albaner. Jetzt haben die Mazedonier mit sich selber das Problem, wir Albaner machen gar nichts. Wer bekommt welche Position, wer geht wohin. Jetzt will eine liberalere Partei in die Regierung. Das Volk will keinen Krieg, wir leben alle gut im Moment.

Wie ist die Situation für Jugendliche? Gibt es Arbeit?
Die Jungen wollen weg. Hier verdienen sie 200-300 Euro. Das reicht gut hier, aber nicht wenn sie ein Auto kaufen wollen oder so. Deshalb gehen sie ins Ausland. Die Jungen warten häufig darauf, bis sie jemanden finden, der schon im Ausland ist und heiraten dann diese Frauen/Männer. Jetzt schauen aber auch viele Junge direkt im Ausland z.B. in der Schweiz und heiraten dann da jemanden von dort. Meistens heiraten die Jungen um die 22 oder 23 Jahre und bis dann warten sie auf jemanden vom Ausland.

Viele Ältere hier bekommen jetzt eine Pension (Rente) vom Ausland. Aber auch viele bekommen keine, wir unterstützen uns gegenseitig. Die Jungen bezahlen den Alten etwas und damit lässt es sich hier sehr gut leben.

Wie sieht die Zukunft für Mazedonien aus?
Wenn wir nicht in die EU kommen, haben wir ein Problem. Wir haben keine Industrie, keine Fabriken uns fehlen Produzenten und somit Arbeitsplätze. Wenn wir in der EU sind, kommen bestimmt Firmen zum hier Produzieren. Dann gibt es Arbeit und die Leute – vor allem die Jungen – können hierbleiben.

Aktuell hat ein Frost alle meine Obstbäume beschädigt. Für mich kein Problem, ich habe sie nur für mich. Aber wer damit Geld verdienen muss, hat ein Problem. Es gibt auch bei Schäden nichts vom Staat. Früher war viel Tabak hier. Einmal gab es einen grossen Hagel und es ging alles kaputt. Der Staat zahlte nichts und die Leute hatten viele Probleme. Jetzt wird hier kein Tabak mehr angebaut.

Die, die jetzt an der Regierung sind, wollen nicht in die EU. Weil sie wissen, sie haben viel gestohlen und wenn die EU kommt, dann gibt es Probleme. Deshalb hoffen wir, dass die neue Regierung an die Macht kommt und dann wird es vorwärts gehen.

Wie denkt man wohl in Schweiz oder in Deutschland über Mazedonien?
In der Schweiz wissen die Leute viel über Mazedonien, weil es viele Mazedonier gibt. Früher hiess es immer, es waren die Albaner. Aber die grossen Politiker haben immer über die Albaner geschumpfen, dabei muss man unterscheiden: Muslime oder Orthodoxe. Wie jetzt auch, die Albaner wollen in Mazedonien nichts kaputt machen. Wir sind ja viele Albaner hier, viele Bulgaren oder Griechen aber nur wenige Mazedonier. Es hiess, es sind die Muslime, die das alles kaputt machen. 81 als ich in der Schweiz war, gab es erste Demonstranten im Kosovo. Ich habe es in der Tagesschau gesehen, es hiess eine Muslimische Gruppe will das kaputt machen. Nicht wer genau, nur Muslime. Und das hat dem Ruf von uns Albanischen Muslimen geschadet.

35 % in Mazedonien sind auch Mazedonier – an einer Hochzeit kommen alle, Muslime, Orthodoxe wir haben damit keine Probleme. Nur die Rechte müssen für alle gleich sein.

Haben Sie einen Geheimtipp für Mazedonien?
Nein nichts, in Mazedonien gibt es nichts ausser Ohrid. In Albanien gibt es das aber hier nichts.

Essen Sie oft traditionelles Essen aus Mazedonien?
Es gibt nicht ein spezielles traditionelles Essen. Die Leute essen mehr Fleisch, etwas Fisch aber vor allem Fleisch und viele Kartoffeln. Früher hatten die Frauen oft selber Brot gemacht oder Pizza. Heute essen viele Fertigsachen, früher waren die Leute arm und mussten selber alles machen über dem Feuer draussen. Fisch machen wir z.B. nicht mehr zu Hause weil meine Frau sagt, das stinkt.

Maisfladen gefüllt am Ohridsee - Mazedonien Essen Spezialitäten

Leckere Maispizza selbstgemacht von der Mama vom Camping Rino.

Reden Sie hier noch manchmal Deutsch?
Hier auf dem Camping spreche ich viel Deutsch, weil es viele Touristen hat. Sonst nicht viel. Aber die meisten Leute hier im Dorf sprechen etwas Deutsch, weil viele in Deutschland oder der Schweiz waren. Englisch reden nur die, die in die Schule gegangen sind. In den Sommerferien reden die Kinder hier alle Deutsch.

Was wünschen sie sich für die Zukunft von Mazedonien?
Es fehlt eigentlich nur Arbeit, Industrie, Fabriken. Es werden viele Häuser gebaut, deshalb gibt es im Bau Arbeit – aber warum? Weil die ausländischen Mazedonier hier Häuser bauen.

Ich habe meinem Chef in der Schweiz einmal gesagt, komm, ich fahre diese Teile mit dem Lastwagen nach Mazedonien, hier machen wir es günstig fertig und fahren es zurück. Das ist viel billiger. Aber er wollte nicht, weil wer hier produziert, muss auch andere bezahlen und das wollte er nicht. Das würde sich mit der EU ändern.

Wir bezahlen hier fast keine Steuern. Wir bezahlen alles Bar, keine Kredite – die Steuern sind tief. Für mein Haus bezahle ich im Jahr 50 Franken. Sonst nichts, keine Hypothek nichts.

Welche Länder sind bei den jungen Mazedoniern beliebt, um dort zu arbeiten?
Die Schweiz ist am beliebtesten, weil es am einfachsten ist zum Papiere bekommen. Wer nach Deutschland will, muss einen Sprachkurs machen. Da kann man nach der Heirat nicht einfach einreisen, sondern muss erst Deutsch lernen. Bei der Schweiz kann man dann gleich einreisen. Ich habe aber im Internet gelesen, dass der Sprach-Kurs auch in der Schweiz bald obligatorisch ist. Das wäre auch gut so, es ist wichtig die Sprache zu sprechen.

Früher gab der Staat den Mazedoniern Geld, auch wenn sie keine Arbeit hatten. Da waren wir Albaner die Dummen und gingen ins Ausland. Als aber dann hier alles kaputtgegangen ist, hatten wir Glück, weil wir im Ausland Geld verdienten und die Mazedonier hatten nichts mehr.

Zum Schluss möchten wir noch wissen: Sind Sie glücklich, wieder zurück in Mazedonien zu sein?
Jetzt bin ich alles hier wieder gewohnt, ich kann nicht mehr in die Schweiz. Hier habe ich meinen Garten, da fahre ich jeden Morgen als erstes mit dem Velo hin, danach trinke ich Kaffee mit Freunden. In der Schweiz ist alles weiter auseinander, da muss ich mit dem Auto meine Kinder besuchen. Mir gefällt es jetzt besser hier. Aber die Schweiz hat uns gelernt zu arbeiten. Wir haben eine Rente aber wir arbeiten noch immer im Garten und mit den Tieren. Wir gehen am Morgen mit Stiefeln hinaus und machen etwas, die die immer hier waren, verstehen uns überhaupt nicht. Die sitzen von morgens bis abends beim Kaffee und reden, sie denken, wir spinnen etwas, dass wir selbst jetzt unseren Ruhestand nicht geniessen, sondern immer irgendwo etwas machen. Aber mir – und auch den anderen, die im Ausland gearbeitet haben – würde etwas fehlen, könnten wir nicht im Garten oder am Haus immer ein bisschen etwas tun.

 

Wir danken Sadulla Alushi für das spannende Interview und den anschliessenden Besuch in seinem “kleinen Garten”, den wir im Gegensatz zu ihm als sehr gross empfanden und ein Teil davon später in unseren Bäuchen gelandet ist.

Und übrigens: Wer im Raum Zürich ein Reinigungsunternehmen sucht, sein Sohn führt die Alushi-Reinigungen in Rüti ZH www.alushi-reinigungen.ch

Herzliche Grüsse an Sadulla und nach Mazedonien

dein comewithus2-Team